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Die Datenkolumne: Gehts noch? Ohne?

Internet und Smartphones – ganz selbstverständlich haben wir uns diese Technik zu eigen gemacht. Man kann sich nur wundern, wie schnell das alles ging. Die Datenkolumne von Thorsten Lieder.

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Foto: Peter Freitag/pixelio.de

Vor endloser Zeit hat meine Großmutter mütterlicherseits „in ihren besten Jahren“ die Einführung der Telekommunikation in ihrer Heimatstadt Hannover miterlebt. Jedoch empfand sie diese „Mode-Erscheinung“ als derart suspekt, surreal und mystisch, dass sie es vorzog, „fernmündliche Übermittlungen“ von Nachrichten besser direkt vorzunehmen. Als Mutter einer nennenswerten Kinderschar war es ihr angenehmer, den Weg zur Schule ihres Kindes zu Fuß oder mit der „Bimmelbahn“ (gab es damals noch) auf sich zu nehmen (dabei wohl noch das Jüngste auf dem Arm), um dort dann die Mitteilung zu hinterlassen, dass ihr Sohn heute aufgrund eines Unwohlseins nicht am Unterricht teilzunehmen in der Lage ist.

Jahre später. Ich war bereits auf der Welt und stellte eines Tages fest, dass ich vergessen hatte, welche Hausaufgaben vorzunehmen wären. Zu diesem Anlass bat ich meine Eltern ausnahmsweise einen Klassenkameraden anrufen zu dürfen und hier Erkundigungen einzuziehen. „Was denn die Jugend ständig telefonieren muss, heutzutage“, war noch die gnädige Fassung, mit der ich in einem derartigen Fall zu rechnen hatte. Ich war damals 14 oder 15. Kosten für ein Ortsgespräch (gab es damals noch): 23 Pfennig. Umgerechnet etwa ein Euro. Den Aufstand meiner Eltern mit eingerechnet entspräche das eher 23 Euro. Pro Minute.

Und jetzt auch noch: Internet

Weitere Jahr später. Wir schreiben das Jahr 1994. Das World-Wide-Web erreichte allmählich die norddeutsche Tiefebene und drang merklich in das Bewusstsein der Bevölkerung ein. Skepsis machte sich breit. Die Faltenzunahme im Stirnbereich erreichte den bisherigen Höchststand. Was damit denn anzufangen wäre und wozu man das denn überhaupt jemals benötige war eine der alltäglichen Diskussionsgrundlagen. Zugegebenermaßen haben damals wirklich die Meisten die Möglichkeiten nicht annähernd zutreffend eingeschätzt.

Überdies darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass einem der Zugang auch nicht ausnahmslos erleichtert wurde. An Wi-Fi war noch lange nicht zu denken, die Modems hatten eine Übertragungsgeschwindigkeit, bei der einem heute bestenfalls die Tränen kommen würden. Zudem erinnert sich vielleicht noch der eine oder die andere an die verblüffenden Modemgeräusche, die beim Einwählen in das Netz entstanden. Man hörte quasi die Bits einzeln über die Leitung laufen, hatte jederzeit mit einem Übertragungsabbruch zu rechnen und um Mitternacht war eh Sendeschluss (gab es damals noch).

Nur Monate später erreicht die Mobil-Telefonie die Bundesrepublik. 1995 werden 3,76 Millionen Mobiltelefonanschlüsse gezählt. War es bis dahin bestenfalls genervten Hausmeistern unter Zuhilfenahme gigantischer, Panzerschrank- schwerer Gerätschaften möglich, unterwegs über das C-Netz (gab es damals noch) mobile Telefonate zu führen, gefolgt von Wichtigtuern, die es nicht unterlassen konnten, ihr unmittelbares Umfeld durch demonstrativ in der Öffentlichkeit vorgenommenes Lautsprechen zu Stirnrunzeln und Neid-Attacken zu motivieren, erschienen plötzlich wie aus dem Nichts die Jugendlichen, die es wagten, unbedarft und ohne erst den gesamt-gesellschaftlichen Konsens abzuwarten, im Biergarten das Klapp-Telefon von Motorola zu zücken und die Antenne auszuziehen (gab es damals noch).

Man kann sich nur wundern.

Ich habe also die Entwicklung des Internets und der Mobil-Telefonie als Erwachsener erlebt. Das klingt wohl zunächst eher nach einem statistischen Wert, bedeutet allerdings etwas. Ich habe durchaus noch eine Vorstellung davon, dass es auch mal ohne gegangen ist. Internet und Mobil-Telefonie stellen für mich „gefühlt“ eher eine „Zugabe“ dar, wohl wissend, dass es von unverzeihlicher Naivität zeugen würde, zu vermuten, dass heute „mal eben“ auf ein „anderes System“ umgeschaltet werden könnte. Also: Nein, es geht nicht mehr ohne. Zumindest nicht ohne Weiteres. Ein Zusammenbruch des Internets würde innerhalb kürzester Zeit zu einem wirtschaftlichen Zusammenbruch führen (man denke nur an die nicht allzu lange zurückliegenden Ausfälle des Mobilfunknetzes von T-Mobile oder Blackberry).

Ich wundere mich über zweierlei:

Zum einen wundere ich mich wesentlich weniger darüber, was alles wie oft schief geht und nicht klappt, sondern viel eher darüber, warum eigentlich fast alles funktioniert: Warum Bus und Bahn trotz manchmal widriger Umstände doch meistens pünktlich kommen. Warum trotz einer gigantischen Zunahme des Verkehrs und der Warenströme bei gleichzeitig hohem Verschleiß der Infrastruktur und Transportmittel diese Waren zumeist ihr Ziel erreichen (und das auch noch meist „in-time“) und dafür doch relativ wenige Unfälle passieren. Warum ich selbst in einer großen Menschenmenge noch mobil telefonieren und mein Mails abrufen kann. Warum ein gerade eingestellter Tweet oder Post sofort(!) weltweit verfügbar ist und warum ich mitten im Harz in kürzester Kürze einen Fest-Netz-Anschluss (gibt es noch) in Zürich erreichen kann.
Zum anderen wundere ich mich darüber, wie unglaublich schnell es ging, dass eine im Grunde noch in den Kinderschuhen steckende Technologie derart kompromisslos angenommen wurde, und zwar einschließlich aller damit verbundenen Konsequenzen und Abhängigkeiten (und der sich in letzter Zeit vermehrt herausgestellten Gefahrenquellen).

Der Untergang des Abendlandes?

Viel wird über den Umgang mit „den Medien“ gezürnt. Wir befinden uns in einer Umbruch- und Entwicklungsphase. Wir befinden uns eigentlich immer in einer Umbruch- & Entwicklungsphase. Ich sehe keineswegs das Ende des Abendlandes aufziehen, nur weil der derzeitige Stand der Technik so viele Leute dazu bewegt, sich offenbar dauernd und überall mit geneigtem Kopf auf Displays zu konzentrieren. Der Umgang damit wird sich finden und ich glaube am Horizont auch zu erkennen, dass sich hier ein Bewusstsein zu diesen Dingen einzuschleichen scheint. Also nicht nur Verblödung sondern auch Ent-Warnung statt End-Warnung.

In zehn Jahren wird die Welt nicht untergegangen sein (zumindest nicht aufgrund des derzeitigen Umgangs mit „den Medien“) und rückblickend betrachtet, wird es dann wohl eher heißen: Smartphones? Tablets? Gab es damals noch.

 

Über den Autor Thorsten Lieder

Thorsten Lieder ist seit 1990 als IT-Experte aktiv, zumeist als Berater im Bereich Daten-Organisation und Prozessoptimierung (Data-Quality-Management) sowie als IT-Trainer und Entwickler für Unternehmen unterschiedlichster Branchen. Bei Twitter und G+: @ThorstenLieder

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